Mittwoch, 30. Juni 2010

Jeder ist die Polizei

Bis heute zuckt Pao-Pei zusammen, wenn sie plötzlich von der Seite, von hinten oder auch von oben mit scharfer Stimme angesprochen wird.
Es kann überall und zu jeder Tageszeit passieren.
Sie schiebt ihr Fahrrad, sieht ein Poster für eine Veranstaltung, steuert auf dieses Poster zu und noch ehe sie nah genug ist, um die Details lesen zu können, ruft es von einem Balkon herab "Das Fahrrad darf da aber nicht abgestellt werden!".
Pao-Pei hatte gar nicht die Absicht, ihr Rad zu parken und erst als sie verschreckt weiter geht, sieht sie hinter dem Poster ein Schild mit der Aufschrift "Fahrrad abstellen verboten".
Oder sie geht - bereits im korrekten Recycling trainiert - zum Flaschen-Container, um ihr Leergut loszuwerden. Während sie die Flaschen einwirft, werfen ihr die Passanten böse Blicke zu. Sie weiß die Blicke nicht zu deuten und wirft weiter fleißig Flaschen ein - bis ein Mann wütend auf sie zukommt und brüllt "Können sie nicht lesen?". Völlig verwirrt schaut sie ihn an, während er ihr noch 2, 3 Mal sein Können-sie-nicht-lesen entgegen wirft.
Als Pao-Pei immer noch nicht weiß, was sie überhaupt lesen soll, löst der Brüller endlich das Rätsel auf und zeigt auf den Aufkleber am Container: "Flascheneinwurf sonntags und feiertags verboten".
Sie hatte den Aufkleber bisher gar nicht bemerkt und kannte derartige Regeln weder aus ihrer Heimat Malaysia, noch aus den anderen Ländern, in denen sie zuvor gelebt hatte.
Die Liste der Erlebnisse ließe sich fortsetzen und so kam Pao-Pei irgendwann die Erkenntnis, dass wohl in jedem Deutschen ein Polizist wohnen müsse. Aus anderen Ländern war sie es gewohnt, dass die Menschen sich nicht in das Treiben Fremder einmischen, solange niemand zu schaden kommt und dass man die Menschen erst einmal ruhig anspricht, ehe man sie zurechtweist.
Hier aber konnte sie erleben, wie selbst um 8 Uhr abends, einer Person, die eine leere Straße überquert, hinterher gerufen wird "Es ist rot!".

Samstag, 5. Juni 2010

Keine Geduld mehr

Wenn sie einmal wieder für ein paar Wochen zu Hause in Brasilien ist, merkt Luiza, dass sie schon sehr lange in Deutschland ist: Sie hat keine Geduld mehr.
Alles kommt ihr unendlich langsam vor. Zumal ihr Heimatort am Meer liegt und die Menschen sich hier im langsamen Rhythmus der Wogen bewegen.
Besonders deutlich wird es ihr jedes Mal, wenn sie im Supermarkt in der Schlange steht. Es bewegt sich nichts. Zumindest nicht nach vorne. Die einzige größere Bewegung findet allenfalls statt, wenn die gesamte Schlange sich nach links bewegt - weil der Computer der einen Kasse ausgefallen ist.
Nervös reckt sie den Hals nach vorne, um zu schauen, was an der Kasse passiert. Anstelle zu ben quatscht dort die Verkäuferin mit der Kundin und hat noch nicht einmal angefangen, die Preise in die Kasse zu tippen!
Auch wenn sie mit den Füßen wippt, so bleibt Luiza dennoch ruhig, denn sie weiß, sie braucht etwa eine Woche, um sich an den Rhythmus zu gewöhnen und sich dann mit allen anderen wie eine ruhige Woge im Meer wiegen.